Kinderschutz in Corona-Zeiten: „Im Zweifel das Jugendamt einschalten“

Geschlossene Schulen und Kitas, Kontaktverbote, gestresste Familien: Von den drastischen Einschränkungen im Zuge der Coronavirus-Pandemie sind viele Kinder und Jugendliche im Landkreis Jerichower Land betroffen. Darauf weist das Jugendamt des Landkreises Jerichower Land hin – und appelliert an Eltern, Angehörige und Nachbarn, beim Thema Kindeswohl genau hinzuschauen. „Zwar schweißt die Corona-Lage viele Familien zusammen. Eltern und Kinder verbringen mehr Zeit miteinander. Aber es kann auch passieren, dass Konflikte jetzt schneller eskalieren und Kinder Gewalt oder Verwahrlosung erleben“, sagt der Leiter des Fachbereiches Kinder – Jugend – Familie, Dr. Ralph Focke. Ein besonderes Risiko gebe es in Familien, in denen psychische Erkrankungen oder Suchtprobleme eine Rolle spielten.

„Klar ist: Das Jugendamt ist auch weiterhin voll erreichbar. Wir gehen jedem Hinweis nach“, betont der Fachbereichsleiter. Unter der Telefonnummer 03921/949 5100 können sich Eltern melden, die von der aktuellen Situation überfordert sind und Hilfe brauchen. Auch wer den Verdacht hat, dass Kinder leiden oder Angst vor ihren Eltern haben, kann dort anrufen. Es sei jedoch unbedingt zum „Double-Check zu raten“: Kreischende Geschwister, Getrampel auf dem Boden oder laute Musik in der Nachbarswohnung seien noch lange kein Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung. Aber wenn die Kinder selbst um Hilfe rufen oder die Eltern sagen: ´Ich packs nicht mehr‘, dann sollte man das Jugendamt einschalten – oder im äußersten Fall die Polizei.

Die Corona-Pandemie stelle dabei auch das Jugendamt selbst vor neue Herausforderungen. So seien Sozialarbeiterinnen und Familienhelfer meist in getrennten Teams unterwegs, um die Infektionsgefahr zu minimieren. Auch Atemschutzmasken seien wichtig. „Entscheidend ist, dass der Kontakt zu Familien, die bereits vom Jugendamt betreut werden, nicht abreißt. Wo das Kindeswohl einmal in Gefahr war, gehen wir auch jetzt regelmäßig in die Familien, um sicherzustellen, dass es den Kindern gut geht“, berichtet Lena Böttcher vom Sozialen Dienst des Jugendamtes. Um bei den Hausbesuchen die Infektionsgefahr möglichst gering zu halten, gehe das Jugendamt auch neue Wege. So kämen verstärkt Video-Chats zum Einsatz, Gespräche würden teils an der Fensterscheibe geführt. „Aber am Face-to-Face-Kontakt zum Kind führt kein Weg vorbei. Das Wohl der Kinder hat für das Jugendamt auch unter widrigen Umständen allerhöchste Priorität.

Bislang sei allerdings noch unklar, ob die Corona-Krise zu deutlich mehr Notrufen beim Jugendamt führe. „Es sind oft die Pädagoginnen und Pädagogen in Schulen und Kitas, die sich mit Verdachtsfällen bei uns melden. Aber die sehen die Kinder und Jugendlichen aktuell ja nicht. Stattdessen könnte es aber zu mehr Meldungen von Nachbarn, Verwandten oder Bekannten kommen“, so Dr. Focke.

Im vergangenen Jahr bekam das Jugendamt des Landkreises Jerichower Land 123 Hinweise auf mögliche Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen. Das Jugendamt kümmert sich dabei um jeden einzelnen Fall. 31 Fälle stuften die Mitarbeiter 2019 als so alarmierend und schwerwiegend ein, dass sie die Kinder und Jugendlichen aus Familien herausholen mussten, um sie zu schützen. In der aktuellen Krise wird besonders deutlich, wie wichtig die Arbeit der Jugendämter ist. Der Kinderschutz leistet eine unverzichtbare Aufgabe in der Gesellschaft – so wie etwa auch die Krankhäuser, die Polizei und die Feuerwehr.